Die Andalusier sind nach ihrem Land benannt: Vandalusien, Land der Vandalen. Erst die Araber machten daraus das al-Andalus, Andalusien. Schon lange bevor die katholischen Könige Ferdinand und Isabella Ende des 15. Jahrhunderts die Reconquista vorantrieben, also die Rückeroberung Spaniens aus muslimischer Hand (sie begann bereits im 11. Jh.), siedelten sich nicht nur in Marokko, sondern auch in Algerien und Tunesien zahlreiche jüdische und muslimische Flüchtlinge an. Das hafsidische Ifriqiya (arab. Bezeichnung für Tunesien) nahm nacheinander mehrere Einwanderungswellen auf. Der erste Flüchtlingsstrom, der im 13. Jahrhundert seinen Höhepunkt hatte, brachte viele „Mauren“ nach Tunis und seine Umgebung wie z.B. nach Cap Bon – den Garten Tunesiens mit seiner jetzigen Hauptstadt Nabeul – und nach Djerba.
„Die einen sind hervorragende Dichter“, schreibt Ibn Khaldun, „die anderen redegewandte Schriftsteller, berühmte Gelehrte, großherzige Fürsten, unerschrockene Krieger.“ Von den Hafsiden hochgeschätzt, konnten sie sich mühelos mit den Almohaden-Scheichs messen. Ende des 15. Jh. /Anfang des 16. Jh. folgte nach dem Fall von Granada (1492) die zweite Einwanderungswelle. 1609 wurde von König Philipp III. die Deportation der verbliebenen etwa 275.000 Morisken angeordnet, also der zwangsweise zum Katholizismus übergetretenen Mauren (Juden und Muslime). Diese Migranten brachten landwirtschaftliches Knowhow samt Tomaten und Paprika, Steinmetz- und Baukunst, die Schmiedekunst sowie die andalusische Töpferkunst mit.



Sie kamen, bauten Wehranlagen, Straßen und Häfen, gründeten zahlreiche neue Städte und reformierten das Handwerk. In Tunis richteten sie sich in der „Andalusierstraße“ ein oder bezogen ein neues Viertel um die Subhan-Allah-Moschee zwischen Bab Suweika, Bal al Khadra und dem Karthago-Tor und sicherten sich das Monopol der Terrakotta-Produktion. Angezogen wurden die andalusischen Töpfer dabei von den bei Nabeul und auf Djerba vorhandenen Tonvorkommen.
Die Stadt Nabeul (die Tunesier sprechen es wie schwäbisch Nebel, also Näbl aus) wurde im 5. Jh. v. C. von den Karthagern als Hafen gegründet und fiel bereits 148 v. C. in römische Hände. In der Antike war es als Neapolis bekannt. Die Keramik in Nabeul hat eine lange Geschichte, wenn man die Öfen des 4. Jh. v. C. betrachtet, sowie die Ansammlung von Scherben, die rund um die Tonbrüche gefunden wurden. In der Römerzeit wurden vor allem Vorratsbehälter für Öl, Getreide und Fischsauce hergestellt.
Ab dem 16. Jahrhundert entstanden die traditionellen Decors aus osmanischen, andalusischen und persischen Einfluss. Im 17. Jh. führte die ehem. Migrantenfamilie Kharraz die Verwendung von Bleilacken ein.



Zu Beginn des 20. Jahrhunderts machten einige große Töpferfamilien Nabeul zur Hauptstadt der tunesischen Keramik, darunter die bereits genannten Kharraz, die Ben Sedrine, die Abderrazak und viele mehr. Diese Kunsthandwerkerdynastien ließen die traditionelle Keramikkunst von Tunis, die man heute noch in den alten Palästen und Medressen bewundern kann, wieder aufleben: die mit Fliesen dekorierten Wände des Dar Othmann, des Dar Hussein, des Dar Lasram, der Medresse Slimeniya….oder die alten, im Bardo-Museum ausgestellten Töpferwaren.
Alles begann, als sich Joseph-Ferdinand und Elise Tissier, zwei französische Keramiker, 1898 in Nabeul niederließen, um dort eine Werkstatt einzurichten. Aus der Verbindung zwischen neuen europäischen Techniken und dem althergebrachten Wissen der Töpfer von Nabeul, entstand so eine neue Kunst. Denn Nabeul war zu jener Zeit bereits für seine schöne, gedrehte Töpferware mit der gelben und grünen Glasur berühmt. Die Tissiers erhielten den Titel „Meistertöpfer des baulichen Geschirrs“ und die örtlichen Töpfer schickten fortan ihre Kinder zur Ausbildung in deren Werkstatt.
Einige Jahre später eröffneten andere Unternehmer ihrerseits Werkstätten in Nabeul: der Tunesier Jacob Chemla und dann der Franzose Pierre de Verclos.
So entstand das, was wir heute die Zeit der „künstlerischen Töpferei“ nennen. Zwei unterschiedliche Arten von Töpferwaren gibt es in Nabeul: rohe poröse Töpferware, bekannt als ‘chawat’, und polychrom glasierte Keramik. Derzeit erlebt die Kunst der Keramik eine bemerkenswerte Wiederbelebung. Etwa 2000 Kunsthandwerker mit spezialisierten Berufskarten in der Töpferei zeigen ihr Talent, wobei Nabeul 600 Werkstätten und 70 Unternehmen beherbergt, die sich auf den Export von Töpferwaren spezialisiert haben.
Vom klassischen “halleb” (Wasserkrug) über kleine Schalen für Oliven und Vorspeisen, einschließlich “tebsis” (traditionelle flache Teller, perfekt für Couscous) bis hin zu Etagenbrunnen in verschiedenen Größen („nafura“), bietet die vielfältige Auswahl an Artikeln, Farben und Mustern eine unendliche Palette. Ob für Küche oder Garten, Badezimmer oder Terrasse, das Wohnambiente wird mit einen orientalischen Touch bereichert, der eine besondere Note des Charmes hinzufügt.



In den 1980er Jahren führten die Entwicklung des Tourismus und die Belästigung durch den Rauch aus Holzöfen zur Zerstörung des Viertels El Guelta und zur Vertreibung der traditionellen Töpfer in der Nähe der Steinbrüche im Norden der Stadt, während die Hersteller künstlerischer Töpferwaren in der Stadt zurückblieben und ihr Werkzeug modernisierten. Statt Holz und Holzkohle wurde nun mit Elektro- oder Gasöfen gebrannt.
Selbst Keramik unterliegt Moden und Zeitgeschmack. Die Dekorationsstile entwickelten sich vielfach. Zu den ältesten Traditionen gehört natürlich der Sbania (spanischer Stil) wie auch der Tissierstil, der aus andalusichem, osmanischen und traditionellen Dekoren schöpft. Ebenfalls von Tissier initiiert ist der Hout (Fisch)-stil. Dama ist das schwarzweiße oder blauweiße Schachbrettmuster, typisch für andalusische Böge an Türen und in Gebäuden. Später in der Mitte des 20. Jh. entstanden auch persisch inspirierte Stile mit Gazellen, Vögeln, Paradiesvögeln und Katzen, wohingegen der Kamel-Stil schon ab 1960 nicht mehr gefragt war.
Ganz anders als mit der Nabeul- oder Djerba-Keramik verhält es sich mit den Töpferinnen aus Sejnane. Sejnane ist ein Dorf im Norden Tunesiens zwischen Tunis, Bizerte und Tabarka gelegen und berühmt für seine ausschließlich von Frauen gefertigten Töpferwaren, die nach überlieferten, alten Techniken angefertigt werden, welche von Generation zu Generation weitergegeben werden. Der Prozess der Töpferwarenherstellung ist durchgehend manuell. Die Ware wird ohne Töpferscheibe geformt und mit natürlichen Pigmenten in rot, weiß und schwarz dekoriert, mit Muscheln poliert und traditionell auf dem Boden gebrannt. Die Töpferinnen von Sejnane und ihre Kunst wurden von der UNESCO auf die Weltkulturerbeliste gesetzt.



“Carreaux de lumière, l’art du Jelliz en Tunisie” von Guillemette Mansour (Dad éditions)
“Les maîtres potiers de Nabeul” von Christian Hongrois (Editions de la Reinette)
“Nabeul, en vert et jaune” von A. Maurières und Ph. Chambon (Edisud)