Wir leben ja immer noch auf einer Baustelle und die gibt es nun schon seit September letzten Jahres. Auch meine Haushaltsauflösung war ein sich-Auflösen von Strukturen. Je weiter das fortschreitet, desto chaotischer wird es. Nichts hat mehr einen Platz, an dem man es zuverlässig findet. Und hier dasselbe: Nichts hat bisher einen Platz. Wir haben das Schlimmste – den Rohbau – zwar schon überstanden. Aber immer noch leben wir aus dem Koffer und aus Kisten. Suchen ständig irgendwas und sind genervt, weil wir das Gesuchte oft nicht finden…..
Inzwischen (ich bin jetzt mal vorsichtig, man weiß ja zur Zeit nie, wie lange das anhält), läuft Wasser. Allerdings hatte der vierte Versuch, eine neue Wasserverbrauchsstelle anzumelden, heute wieder nicht geklappt. Daher läuft das Wasser noch nicht aus dem Hahn.
Impro „Kullu arab“ („typisch arabisch“)
Die Kinder müssen auch täglich improvisieren. Es gibt natürlich fertiges Spielzeug zu kaufen, aber das können sich nur wenige leisten. So beschäftigen sich die „Kurzen“ in aller Regel alleine, zum Glück in diesem Fall gibt es hier so gut wie keine Einzelkinder.
Geradezu genial finde ich den Trick, sich aus einem Plastikschraubverschluss einer Wasserflasche einen Kreisel zu basteln. Und das Ding funktioniert einwandfrei.
Zur Nachahmung empfohlen
Vorgestern gab es wieder mal eine Hochzeit. Eine lange Autoschlange fuhr hupend und mit Warnblinkanlage zum Haus der Braut in einem Dorf ca. 40 km Richtung Gabes.
Es war der erste Tag der Hochzeit, an dem das Heiratsdokument unterzeichnet wird. Von der Hauptstraße aus, wo alle geparkt hatten, zog man mit den obligatorischen drei Musikern zum Platz vor dem Haus. Während im Haus die Braut von den Frauen die Segenswünsche, Küsse und Geschenke entgegennimmt, wird draußen der Tisch aufgebaut. Auch ich reihe mich ein, küsse die mir unbekannte Braut auf beide Wangen und wünschte ihr Alf Mabruk, „tausend Glückwunsch“. Ob ich hier nun ein Wort verstehe oder nicht, spielt keine Rolle: mir bleibt nix anderes übrig, als bei den Frauen zu sitzen. Aber in der Regel haben wir viel Spaß, auch ohne große Sprachkenntnisse. Englisch kann hier kaum jemand und ich kein Französisch.
Als dann draußen die Unterschriften vollzogen werden (vom Vater der Braut und dem Bräutigam!), ertönt drinnen ein schrilles wehklagendes Geschrei von den weiblichen Familienmitgliedern der Braut. Sie wird ja nun von zu Hause wegziehen, zwar nur 40 km, aber bei den hiesigen engen Familienbeziehungen ist das schon eine Entfernung. Die Söhne will die Mutter jeden Tag sehen, also bleiben sie gleich bei ihr bzw. bauen direkt auf dem eigenen Grundtück oder tunlichst daneben. Die Töchter trifft man regelmäßig mindestens einmal pro Woche, meist öfter. Meist ist Samstags so ein allgemeiner Familienbesuchstag, wo die Töchter samt den Enkeln zur Mutter gehen oder fahren. Manche Töchter haben ein extrem enges Verhältnis zu ihrer Mutter und nehmen jede Kleinigkeit, wie z.B. eine Meinungsverschiedenheit mit dem Ehemann, zum Anlass, für eine Weile zu den Eltern zu zurück zu kehren. Diese Weile kann durchaus einige Monate dauern….
Das arme Schaf, das als Hochzeitsmahl auf dem Pickup gebracht wurde, wurde dann recht unsanft zur Schlachtbank gezerrt. Wie Tiere hier behandelt werden, damit hab ich ja desöfteren ein Problem und manches Mal muß ich aufsteigende Übelkeit unterdrücken. Nicht nur die Hunde werden oft an viel zu kurzer Kette gehalten, um sie scharf zu machen. Auch bei den Metzgern werden die als nächstes zu schlachtenden Tiere direkt an der Straße vor dem Laden angebunden und sozusagen ausgestellt. Das heißt: morgen gibt es frisches Rindfleisch, Schaffleisch oder Kamelfleisch, je nachdem. Das eigentlich Abstossende find ich aber, dass der Kopf von dem Kamel, Schaf oder Rind am nächsten Tag abgetrennt, aber mit Fell und geschlossenen Augen an einem Haken neben den anderen Fleischstücken hängt. Damit der Kunde weiß, was grade von der Schlachtung kam…..Ist vielleicht ehrlicher als bei uns mit abgepackten Fleischstücken im Supermarktregal – und vielleicht gäbe es dann mehr Vegetarier. Aber ich schau trotzdem lieber auf die andere Strassenseite, wenn wir bei den Metzgern vorbei fahren.
Um endlich wieder ein bißchen Bewegung zu haben,
war ich vor ein paar Tagen mit der 18 jährigen Nichte beim Walken am Ras el Kef, einem baumbestandenen Grund mit einigen Turngeräten und etlichen Kilometern Spazierweg am Stadtrand. Um mich auf die große Sommerhitze einzustellen, versuche ich, mich wärmer anzuziehen, als ich es bei gleichen Temperaturen in Deutschland tun würde. Ich „walkte“ also eine Stunde im flotten Tempo mit Unterhemd, langärmeligem T-shirt, warmer Weste und Kopftuch. Da es noch Vormittag war, wurde mir zwar gut warm, aber es war doch noch erträglich. Heute bei 26 Grad im Schatten, wärs mir zu viel geworden. Und aufgrund der wochenlangen Bewegungsabstinenz hat sich doch tatsächlich noch ein Muskelkater eingestellt.
Für mich ist das mit dem Kopftuch auch recht geschickt. Sehen meine Haare bescheiden aus, was aufgrund von Warmwassermangel grade oft das Thema ist, ist so ein langer Baumwollschal recht praktisch. Frisch gewaschene Haare, die gut in Form sind, versaue ich mir ja jetzt nicht unbedingt mit einem Tuch (wenn es nicht grade Sandsturm hat). Das ist zwar nicht im Sinne des Erfinders (es geht ja genau darum, Männer durch den Anblick von Frauenhaar nicht auf bestimmte Gedanken zu bringen. Merke: für „diese“ männlichen Gedanken sind die Frauen verantwortlich in Form von Auftreten und vor allem Kleidung! Und Haare sind ja Sinnbild der Sexualität, die es zu kontrollieren gilt), aber da ich ja die Wahl habe, kann ich gut damit leben. Für mich ist das Kopftuch einfach eine Option, zu dekorativen Zwecken oder wenn ich nicht auffallen will.
Es gibt ca. 20-30% Frauen, meist sind es die jungen, die mit enganliegenden Klamotten und offenen (natürlich langen!) Haaren gehen. Das sind hier schon kleine Revoluzzerinnen. Also nicht nur kein Kopftuch, sondern auch kein Pferdeschwanz, keine Hochsteckfrisur oder Zöpfe…..Kurzes Haar trägt keine Frau. Das Langhaar-Schönheitsideal ist so allumfassand und unumstößlich, dass es wohl kaum eine auf sich nehmen will, die daraus resultierende Ablehnung zu erfahren. Die kleinen Mädchen gehen meist mit sehr straff geflochtenen Zöpfen zur Schule. Und für Hochzeiten stehen alle, ob 4 oder 40 Jahre alt, bei der Friseuse Schlange, um sich die Haare glatt fönen zu lassen. Glatte Haare wünscht sich hier jede Frau, auch wenn sie die schönsten Wellen oder Locken hat, um die sie in Deutschland von den meisten Frauen beneidet würde. Und am besten noch in „gelb“, d.h. blond. Insofern hab ich Glück: ich bin für die Frauen kein Neidobjekt, da für die Männer kein Hingucker……
Nach dem „walking“ beim Blätter zupfen von einem Spinatähnlichen Gemüse für den Couscous.
Im Moment windet es recht heftig, was uns wegen der noch nicht verglasten Fenster eine Art Campingfeeling beschert….
19. März: es hat 13 Grad, gefühlte 9 Grad und es weht ein unangenehm kalter Wind. Das Wetter kann hier erstaunlich veränderlich sein.
20. März: 11 Grad und Regen!