Das „Ain el Hassoud“, „das Auge des Neiders“, gab und gibt es nicht nur im Orient, sondern von Irland bis Indien, in der Mongolei und in Mexiko, nichtsdestoweniger natürlich auch in Europa und insbesondere im ganzen Mittelmeergebiet.
Auf Hebräisch ist zum Beispiel „Ain ha-ra“ das „Auge des Bösen“; im Griechischen repräsentiert „Phthonos“ den „Bösen Blick“. So schreibt ein Rabbi Amora im Talmud „99 Menschen sterben durch den Bösen Blick, und einer nur endet eines natürlichen Todes.“ *1
In Indien heißt der „Böse Blick“ „sihr“ oder „drishti-dosha“. Im Zendavesta, der Religion der alten Parsen fürchtete man ihn unter der Bezeichnung „aghashi“ oder „agha doithra“. Die heutigen Iraner sprechen von „tschesmi bed“, „baecht oder baed mezer“, „sehr u dschadu“. Das Wort „sehr“, „seer“ oder „sihr“ ist, wie vieles aus der persischen Sprache, auch in die Zigeunersprache übergegangen. *2
Auch in Deutschland glaubte man: „ (..)..Diese Macht ist unzweifelhaft angeboren, aber der Besitzer übt sie nur aus neidischer Eifersucht und teuflischer böser Freude. Aus diesem Grunde liebt man es…(..)…nicht, wenn die Leute Menschen und Tiere loben, denn während ihre Lobsprüche die schönen und gesunden Objekte, die sie ansehen, mit Ohnmacht, Verderben oder Tod treffen, bezaubern ihre Augen sie zu gleicher Zeit…(..)..
Und auch: Überall in ganz Deutschland findet man selbst unter Gebildeten die Sitte, dass, wer seine Gesundheit preist oder sonst sich oder einen anderen wegen irgend eines besonderen Glückes rühmt…(..)…dreimal gegen die Tischplatte klopft, weil der Glückliche…(…) sonst den Wechsel des Glückes erfahren würde“, berichtet S. Seligmann 1910. Auch der sogenannte „Hexenschuß“ galt lange als durch „Feindschaft, Verwünschung und böses Auge angezaubert, wohl durch sein plötzliches, überraschendes Auftreten *3
El Hassad – der Neid
Neid (El Hassad) lauert überall, besonders von jenen, die anders sind, vom Glück nicht so begünstigt oder von der Norm abweichen: Bettler, Behinderte, Menschen mit anderer Hautfarbe, Haarfarbe, anderer Nationalität. Prinzipiell kann ein jeder unglückliche oder neidische Mensch – vom Papst bis zum Lumpensammler – unbewusst durch den Blick seiner Augen und dem Lob aus seinem Munde anderen schaden. Selbst im modernen Tunesien ist die Angst vor Neid und seinen Folgen noch verbreitet.
Man hüte sich daher im Orient – in manchen Ländern mehr, in anderen weniger – vor ausgiebigen Komplimenten über die „süßen Kleinen“: leicht könnte man missverstanden werden! Denn Kinder, insbesondere kleine Söhne, zählen zu den am meisten gefährdeten Subjekten. So glaubt man oft, sie am besten zu schützen, wenn man sie verdreckt, unfrisiert und in zerrissenen Kleidern herumlaufen lässt. Dies kann man u.a. häufig in Ägypten beobachten.
Einen weiblichen Dämon mit Namen Qarina („die Mutter der Knaben“) machte man verantwortlich für den Tod von Neugeborenen und Kleinkindern. Über ihrem Kopf schwebt ein Auge, das von einem Skorpion gestochen, von Schwertern durchbohrt und von einem Vogelschnabel zerhackt wird. Es ist auch als das „Viel leidende Auge“ des christlichen Mittelalters bekannt. *4
Von daher ist der Skorpion, der häufig als Schutzsymbol Verwendung findet, stets mit dem Schutz vor dem Bösen Blick verbunden.
Doch nicht nur ein gesunder hübscher Sohn kann den Neid anderer und somit den „Bösen Blick“ hervorrufen. Derlei Anlässe gibt es zuhauf, ob materiell oder immateriell: eine schöne Wohnung, Anerkennung und Erfolg im Beruf, ein teures Auto, eine glückliche Ehe, wertvoller Schmuck usw. Gerade in Entwicklungsländern, wo teilweise krasse Armut herrscht, ist auch die Angst vor dem „Auge“ verbreitet bei jenen, die es zu bescheidenem Wohlstand gebracht haben.
Menschen mit besonderer Augenfarbe oder einem Augenmuskeldefekt (Schielen) oder dem Augenzittern (Nystagmus) stehen überall im Verdacht, den „Bösen Blick“ zu besitzen. *5 Die gefürchtete Augenfarbe ist jedoch überall eine andere: Die hellhäutigen Völker fürchten sich vor den dunklen Augen, die farbigen Völker vor den hellen Augen. Blutrote Augen galten von jeher als Symbol des Schreckens und Todes. Die Beobachtung, dass gewisse (meist mit Eiterabsonderung verbundene) Augenkrankheiten auf andere gesunde Augen ansteckend wirkten, deutete man früher als Zeichen des „Bösen Blickes“. Der wahre Grund bzw. die sich dahinter verbergende Krankheit, nämlich der ansteckende Bindehautkatarrh, auch „Ägyptische Augenkrankheit“ genannt, war als solcher unbekannt. *6
Wer sich gefährdet fühlt, der hat allerdings auch reiche Auswahl an diversen Schutzmitteln:
Neben dem Khamsa, der sogenannten „Hand der Fatima“ (bei den Muslimen) gibt es auch das „Auge der Fatima“ , das man vor allem in der Türkei als ein blaues Auge aus Glas in allen Größen erwerben und vom Hals bis zum Auto überall hängend anbringen kann. Die Zahl 5 (arab. „khamsa“) gilt bereits generell als schutzbringend im Islam. Christen kennen analog eine segnende Hand der Maria, auch als Geste der Verkündigung. Bei Juden gibt es die Hand der Miriam, benannt nach Miriam, der älteren Schwester von Moses und Aaron. Diese drei führten beim Exodus die Israeliten ins gelobte Land Kanaan.

Khamsa Silikon-Backform
Alternativen Schutz sollen Fischsymbole und bei Frauen Henna-bemalungen bieten. Der Fisch steht als Wasserelement in der Wüstenregion für Leben und Fruchtbarkeit. Henna selbst hat schützende Funktion, in diese Farbe getauchte Hände werden noch heute über Hauseingängen gestempelt. Alternativ taucht man am Opferfest (Aid el Adha) die Hände in das Blut des soeben geschlachteten Schafes und stempelt damit Türen (insbesondere Hauseingänge) oder Wände.
Weniger blutig schützt man sich mit roten oder türkisfarbenen Halbedelsteinen (Koralle, Türkis), Schmuckmünzen, Amuletten, Hufeisen, Skorpionen bis zu Glassteinen in Augenform und allem, was den Namen Allah´s trägt: Koranverse (bevorzugt mit der Sure „El Fagr – Das Morgengrauen“ oder „El Kursi“, dem „Thronvers“, Sure 2, Vers 256), auch Bilder von der Kaaba in Mekka sollen helfen.
Denn, wie sagte schon der Prophet selbst: „Der Mensch besitzt in seinem Blick und in seiner Stimme eine gewaltige Macht, mit der er viel Gutes, aber auch viel Übles bewirken kann“ !
1 (Bab. mez. 107b,in Seligmann S. 14))
2 (vgl. Seligmann Seite 39)
3 (Seligmann, S. 23 und 329)
4 (vgl. Kulturschlüssel Ägypten und Abbildungen in Seligmann Seite 113, 115, 117)
5 (vgl. Seligmann Seite 73)
6 (Vgl. Seligmann Seite 73)
Sehr interessant, damit habe ich mich auch schon beschäftigt. Denn ich finde es faszinierend, wie es dieses Konzept wirklich überall auf der Welt gab/gibt 🙂