Letzte Woche wurde meine Verständnis- und Toleranzschwelle – die inzwischen schon recht hoch ist! – wieder einmal überschritten. Der Grund: Unser Drittklässler kam zum wiederholten Mal von der Schule nach Hause und sollte für den nächsten Tag mehrere Kopien für den Französisch-Unterricht mitbringen. Zum Einen waren es vollfarbige Blätter mit einem einzigen französischen Wort in der Mitte, also quasi ein Farbfoto im DIN A4 Format (siehe Beitragsbild). Zum Anderen besitzt hier kaum jemand einen Computer, geschweige denn Drucker. Die Eltern müssten also alle in die Stadt fahren und zum Copyshop rennen. Und mein Drucker ist aus Deutschland, d.h. die Farbpatronen sind codiert für Deutschland, was bedeutet, dass ich mir hier keine günstigeren Farbpatronen kaufen kann. Meine Patronen muß ich teuer in Deutschland kaufen und (noch teurer) hierher schicken lassen.
Da mein Mann größten Wert auf gute Schulleistungen seiner Kinder legt, war er ein bisschen verschnupft, als ich ihm mitteilte, dass ich mich weigerte, schon wieder Kopien auf eigene Kosten zu drucken. Und ab sofort drucke ich überhaupt keine mehr, kündigte ich an.
Dafür sei die Schule zuständig. Nicht einmal im reichen Deutschland muß ein Schüler Kopien vom Unterrichtsmaterial selber machen und mitbringen. Auch in der hiesigen Sprachschule, in der ich zur Zeit einen B2-Kurs leite, werden die Kopien (die ich in Auftrag gebe) von der Schulleitung zur Verfügung gestellt. Ich erkundigte mich bei einem Klassenkameraden von unserem Drittklässler: seine Eltern hatten ihm ebenfalls keine Kopien gemacht. Ich war beruhigt.
Heute war letzter Schultag vor den Zeugnis-Ferien. Nur – es gab keine Zeugnisse.
Ich erfuhr dann, dass keine Zeugnisse verteilt wurden, weil die Schule kein Papier hatte. Zum Glück war niemand da, der ein Foto von meinem Gesicht gemacht hat: mir blieb vor Fassungslosigkeit der Mund offen. Wie jetzt? Das ist nicht dein Ernst? Und wer ist verantwortlich? Der Direktor? Ich muß zugeben, ich hab hier schon so viel an „Klein-Korruption“ erlebt, dass ich jedem, der ein offizielles Amt bekleidet, fast alles zutraue. Ich hätte jetzt ohne Weiteres auch unterstellt, dass sich der Direktor das Budget für das Papier selber unter den Nagel reißt und die Eltern das Papier extra bezahlen läßt. Offensichtlich ist dem aber nicht so: Es scheint den Gerüchten nach ein Zerwürfnis und einen Machtkampf zwischen einem Administrator der Schulbehörde und dem zuständigen Minister zu geben. Denn es fehlt nicht nur Papier, es fehlt auch noch jede Menge anderes Schulmaterial. (Womit wieder einmal allen Recht gegeben ist, die behaupten, Tunesien sei nicht reif für eine Demokratie. Das – männliche – Ego ist allerorten noch zu groß: man(n) nimmt alles persönlich, ist schnell beleidigt und unfähig, einer Sache ohne Statuskämpfe zu dienen).
Jedenfall, der Ukraine-Krieg, der bereits für den Milchmangel, den Kaffeemangel und den Benzinmangel herhalten muss, ist dieses Mal sicher nicht der Schuldige.
Was machen die übrigen Eltern? Sie schweigen. Aus Feigheit, aus Gleichgültigkeit, aus Angepassheit, aus Überforderung, aus was auch immer für Gründen.
Ich finde es ja auch eine Zumutung, dass die Eltern jedes Jahr sämtliche Schulbücher neu kaufen müssen. Sämtliche. Bei uns früher hielten die Bücher mindestens vier Jahrgänge, soweit ich mich erinnere, und bezahlen musste man sie nur, wenn ein Schüler sie kaputt gemacht hat.
Aber hier wird nichts weiter gegeben an die nächste Klasse. Und das sind viel, viel mehr Bücher, als wir in meiner Schulzeit hatten. In den Kinderzimmern stapeln sich die diversen Schulbücher für jedes Fach und jeden Sommer werfen wir einen großen, unglaublich schweren Müllsack davon weg. Es scheint ein gutes Geschäft zu sein.
Jedes Jahr werden die Bücher geringfügig verändert von einer speziellen Schulbuchkommission und müssen dann selbstredend neu gedruckt werden. Von Umweltschutz aufgrund des exorbitanten Papierverbrauchs wollen wir erst gar nicht reden. Aber diejenigen, die über die Schulbücher bestimmen, sitzen quasi an einer Gelddruckmaschine. Ich bin sicher, es gibt eine gute „Zusammenarbeit“, wenn nicht gar Verwandtschaft zwischen Schulbuchkommission und Druckerei. Nicht der einzige Korruptionsposten, der zu besserer Bildung und besserer Ausstattung der Schulen nicht das geringste beiträgt.
Ich kenn ja nicht so viele Menschen hier, aber unter den wenigen sind zwei alleinerziehende Mütter mit zwei und drei schulpflichtigen Kindern. Beide leben unter der Armutsgrenze. Eine arbeitet bei einer Anwältin als Putzfrau und bekommt den Mindestlohn von 130 Euro im Monat.
Die Schulbücher pro Kind haben dieses Jahr ca. 40 Euro gekostet. Und hier gab es letzten Herbst einen Händler für Schulmaterial, ein ganz frommer, der schon zweimal in Mekka war, der die Bücher gebunkert hat, um sie danach zu einem höheren Preis an verzweifelte Eltern zu verkaufen, die keines mehr abbekommen hatten. Zum Glück ist er aufgeflogen.
Und eigentlich ist die private (aber nicht kostenlose) Nachhilfe von Lehrern offiziell auch verboten. Viele machen es dennoch: in der Schule gibt es schlechte Noten, es sei denn, die Schüler kommen zusätzlich zum kostenpflichtigen Unterricht am Samstag oder Sonntag zum Lehrer/zur Lehrerin nach Hause. Wer tut nicht alles, damit die Kinder die Schule gut abschließen?
(Wir natürlich auch. Wer sind wir, dass wir allein gegen diesen Sumpf ankommen könnten?)
So verdient sich mancher „Lehrkörper“ (obwohl diese ja eh zur besser verdienenden Klasse gehören) noch die Raten fürs Haus oder Auto locker nebenher.
Damits nicht so lange wird, mach ich jetzt mal Schluss – aber „Stoff“ zum Motzen gäbs grad genug. Jedenfalls, nach den heutigen 8 Stunden Stromausfall hat das Tippen jetzt richtig gut getan. So far…..bis zum nächsten Mal.