Heute Morgen machte eine Nachricht die Runde, die ein Schlaglicht auf die medizinische Versorgung hierzulande, zumindest außerhalb der Hauptstadt, wirft: Eine junge Frau, die zur Geburt ihres Kindes ins hiesige Krankenhaus gegangen war, starb auf dem Weg nach Sfax, weil hier im Ort (80.000 Einwohner) kein Arzt aufzutreiben war, der sie hätte operieren können resp. einen Kaiserschnitt machen konnte. Hier ist nur alle drei Tage ein gynäkologischer Facharzt zur Sprechstunde da!
„Das passiert nicht alle Tage“ versicherte man mir, offensichtlich peinlich berührt von meiner Nachfrage.
Doch diejenige, die das sagte, hatte erst vor vier Monaten ihre Großmutter verloren, die noch selbst zu Fuß ins Krankenhaus ging wegen einiger Beschwerden, über die weder sie sich noch die Familie groß Gedanken machte, da sie rührig und agil war und ihren Haushalt ohne Einschränkungen alleine betrieb.
Zwei Tage später verstarb die 70jährige Frau völlig überraschend. Die Ursache konnte nicht exakt eruiert werden.
Dennoch ist die Medizingläubigkeit hier groß. Und die Ärzte haben alle in Frankreich studiert, daran liegt die mangelhafte Versorgung nicht unbedingt. Vor allem Kindern wird gerne beim kleinsten Schnupfen eine ganze Batterie an Säften verabreicht. Am liebsten Antibiotika. Ins Bett legen, wenig essen, viel trinken und dem Körper Ruhe gönnen wird dagegen als unnötig empfunden. Die Kinder bekommen fiebersenkende Mittel, zusätzliche Schmerzmittel und springen dann den ganzen Tag draußen rum, meist ist es nicht sehr warm, denn die Erkältungen kommen hier wie überall natürlich vermehrt in der kalten Jahreszeit.
Das Krankenhaus ist billig. Es ist für all diejenigen, die keine Krankenversicherung haben (Bauern, Selbstständige) und sich keinen Arzt leisten können, das sind die meisten. Aber wer sich grad auch das nicht leisten kann, greift erst mal zu den Hausmittelchen. Und es gibt ja auch Kleinigkeiten, die keinen Arzt benötigen.
Zum Beispiel der chronische Schluckauf eines Babys: da zieht die Oma einige rote Fäden aus ihrer Jacke oder ihrem Wolltuch, feuchtet sie mit Spucke an, rollt sie ein bisschen zusammen und klebt sie dem Baby auf die Stirn, genau an die Stelle des dritten Auges wie ein Bindi bei den Hindufrauen.
Bei Halsschmerzen und leichter Erkältung hilft selbstredend Olivenöl mit Zitronensaft, halbe-halbe angerührt.
Oder noch besser, weil süßer, Olivenöl, Zitronensaft wahlweise mit Chamiya oder Honig.
Zahnschmerzen behandelt man wie auch bei uns mit Nelken, die man als Ganzes in das Loch stopft oder vorher pulverisiert und in Wasser löst gegen entzündetes Zahnfleisch.
Aus Thymian (hier heißt er Zatar) wird ein Tee gekocht, der gegen Bronchitis hilft.
Magenschmerzen hingegen kuriert man mit einem Tee aus Beifuß.
Gegen Hämorroidhen helfen Olivenöl mit Kamun (Kreuzkümmel) vermischt, äußerlich aufgetragen.
Bei Kopfläusen wird eine Mischung aus Salz und Essig aufgetragen; in der Tat überleben die lebenden Läuse das nicht. Der Essig greift auch die Nissenhülle an. Mindestens drei Mal, jeden dritten Tag wiederholen. Und natürlich trotzdem noch vorher mit einem guten Nissenkamm und etwas Öl die Läuseeier auskämmen. Es gibt Shampoos in der Apotheke (zwischen 7 und 13 Dinar, ca. 2,30 bis 4,30 Euro), doch die beigelegten Läusekämme sind hier lumpige biegsame Plastikteile, die nichts taugen.
Bei Nierensteinen wird Petersilie ausgekocht (einige Stängel, etwa 5 Minuten lang) und der Sud ohne Zucker (! tatsächlich!) getrunken. Auf aufgekratzte Mückenstiche kommt Zet Sangu (Öl san gout, ohne Geschmack), meist Maisöl.
Bei Rückenschmerzen (Bandscheibenvorfall, Ischias, Hexenschuss) erhitzt man Olivenöl in einer kleinen Schüssel, nimmt zwei Handvoll Salz in ein Tuch gebunden, so dass man eine Art klumpigen Stempel hat, taucht diesen Stempel dann ins recht warme Öl und drückt ihn wiederholt einige Sekunden bis ca. eine Minute auf die schmerzenden Bereiche. Basbassa nennt sich diese Behandlung, was alle recht witzig finden, weil „bassa“ auch „Pups“ heißt.
Und ein Mann namens Belgacem ben Salem hat Blätter entdeckt, die – nach Operationen auf die Wunde aufgelegt – gegen Schmerzen helfen. Seither haben diese Blätter seinen Namen. Um welche Pflanze es sich dabei handelt, konnte ich nicht in Erfahrung bringen.
Neben dem Vielkönner Olivenöl gibt es noch zwei Kräuter, die auch bei uns seit langem für ihre Heilwirkungen bekannt sind: Weinraute (tuns. Fäyjel) und Bockshornklee (arab. Helba).
Im Mittelalter war die Weinraute in Europa ein wichtiges Heilkraut gegen Gelenkschmerzen, Knochenschmerzen, Zahnschmerzen, Schlafstörungen und nervöse Unruhe. Das ätherische Öl wirkt krampflösend. Das Flavonoid Rutin wirkt blutdrucksenkend und entzündungshemmend. Wegen einiger „bedenklicher“ Inhaltsstoffe wird die Weinraute allerdings bei uns kaum noch verwendet. Nimmt man zuviel, kann einem schon mal schwummrig werden, der Name „Wein-..“ kommt ja nicht von ungefähr. Wegen der enthaltenen Bitterstoffe sollte man sowieso nicht zuviel nehmen. Die Römer gaben es ihrer Käsepaste bei, hier wird es im Couscous Helba mitgekocht.
Der nächste Tausendsassa, nicht nur in diesem Couscous, sondern als Heilmittel allgemein ist Bockshornklee. Er enthält extrem viel Vitamine und Spurenelemente, dazu einige Hormone und ätherische Öle. Er hilft gegen Haarausfall, bei Appetitlosigkeit und erwiesenermaßen(!) als Potenzmittel (auch bei Frauen). Nach der Geburt eines Kindes wird Couscous Helba gekocht, der viel Bockshornklee enthält, und die junge Mutter bekommt zusätzlich Tee aus Bockshornklee zum Trinken: Beides regt die Milchproduktion an. Ein Umschlag mit einem Brei aus Bockshornklee hilft bei Abszessen, ein Absud gegen Schweißausbrüche. Daneben hat Bockshornklee als einziges bekanntes Naturmittel eine ähnliche Wirkung wie Insulin und wirkt so positiv auf den Zuckerstoffwechsel und beugt Diabetes vor. Er wirkt außerdem „Nebenwirkungsfrei“ gegen zuviel schlechtes Cholesterin, entgiftet die Leber und wirkt einer Fettleber entgegen, sorgt durch den hohen Eisengehalt für ein besseres Blutbild, kann Akne, Neurodermitis und Schuppenflechte heilen oder mindestens lindern.