Nun es soweit. Jahre und Monate wurde es hinausgeschoben, wegen anderer Feste oder Todesfälle unterlassen, wegen der Kosten nicht gern daran gedacht. Aber jetzt ist nichts mehr zu rütteln: in 10 Tagen fängt die Schule an und als Junge unbeschnitten dorthin zu gehen, ist ein No-go – im wahrsten Wortsinn. Über Sinn und Zweck, Vor-oder Nachteile der Knabenbeschneidung zu philosophieren, ist hier nicht meine Absicht. Nur soviel: hygienischer ist es beschnitten und nicht nur diesbezüglich auch für Frauen von Vorteil. Das „WIE“ ist eine ganz andere Sache. 🙂
Zu diesem Event gibt es natürlich zwei gewichtige Fragen: Wie feiert man? Und von was bezahlt man das? Die dritte und vierte wäre noch: wo findet es statt und wer wird eingeladen? Aber Platz ist in unserem Fall vorhanden und eingeladen sind im Prinzip alle, die man kennt, wenn es ein großes Fest werden soll. Bei der ersten Frage hat man in Tunesien die Auswahl von der kleinen Familienfeier mit einem gemeinsamen Couscous bis zu allerlei Attraktionen inklusive Musikband. Und da wir hier das einzige Söhnchen haben, fiel die Wahl auf eine Kutschentour.
Ich, Anfänger in Sachen derartiger Feste (und auch nicht scharf drauf, jemals Profi zu werden) dachte natürlich: das Kind darf mit seinen Spielkameraden eine Stunde Kutsche fahren oder so. Weit gefehlt: Das Kind darf zwar Kutsche fahren, aber die 50 bis…..200 Gäste laufen mit, inklusive zweier Musiker (T`baar) mit großer Trommel und Zukra. Dafür steht nun bereits die Kutsche (tun. Kalyz, ägypt. Hantour) im Hof, ein herrlicher Spielplatz für alle anwesenden Kinder. Und dafür (und nur dafür !) werden traditionelle Kostüme ausgeliehen bei einer der zahlreichen örtlichen Kostümverleiherinnen.Aber der Reihe nach: Donnerstag soll die Party steigen, doch die ersten Gäste aus der Familie reisen bereits Montag an. D.h. Kuchen backen, kochen, Gästebetten vorbereiten. Am Dienstag der konkurrenzlose Putztag bis etwa 22h mit abendlichen Rückenschmerzen usw. ….Putzen ist einfach ungesund. Ab Mittwoch dann der verschärfte Countdown: Morgens um 7h in den Suq, um die Klamotten für das Knäblein zu besorgen. Wobei ich die einzige bin, die zur verabredeten Zeit parat steht….. Wir fahren um 8.30h. (Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt: es gibt hier auch pünktliche Leute, manche kommen sogar zu früh!)
Es braucht zwei Garnituren, die dritte hat die Mama schon mitgebracht. Wir stehen im Schneiderladen und der Verkäufer, ein älterer Herr lehnt weit über der Theke, taucht sein Brot in eine danebenstehende Schale mit zerkleinerten gekochten Eiern und Olivenöl, kaut und schaut dabei von unten nach oben, während er mit vollem Mund antwortet. Ein Stilleben. Aber die Kleidungssachen sind sehr schön, nicht teuer und passen exakt. Danach finden wir auf dem Weg noch ein paar von den Gewürzen, die auf der Liste stehen und fahren wieder nach Hause. Die zwei zusätzlichen Plastikkübel, die ich fürs Hamam besorgen wollte, vergesse ich leider. Zu Hause werden noch einige Putzüberarbeitungen vorgenommen, zu denen man am Vortag nicht mehr gekommen ist.
Zum Glück hat die Oma gekocht, sonst hat grad niemand Zeit. Um 13h gehts mit fünf Frauen und drei Kindern ins Hamam. Allah sein Dank, dass wir einen Temperaturabfall von über 10° Grad haben. Von 42° auf 31°. Zwar ist es dafür schwüler, und nach dem Hamam ist man schnell wieder genauso nass wie drinnen, aber die ganze „Äkschon“ bei über 40° ist nur für Hardliner, die die Hitze gewohnt sind. Im Sommer hält mich auch nichts lange im Hamam, nach einer guten Stunde gehe ich mit dem Knaben als erste nach Hause; er ist eigentlich schon zu groß fürs Frauenhamam; obwohl erst 6 Jahre, sieht er aus wie 8 und hat Schuhgröße 35. Daher mußte sich die Mutter in der Duschkabine mit ihm einschließen und ihn dort schrubben. Zu Hause endlich ein bißchen chillen. Aber nur bis 18h. Dann müssen wir zu den Kostümverleiherinnen.Sie sind am anderen Ende vom Ort und wir gehen zu Fuß, das sind mindestens 20 Minuten. Nur in einem Laden gibt es einen Ventilator…..nirgends Klimaanlage…..und bis fünf Frauen das passende gefunden haben….! Zum Glück hab ich immer meinen Tanzfächer dabei 🙂
Erst um 20.30h sind wir zurück und jetzt trifft die Henneiya ein, die Hennafrau. Zuerst kommt der Knabe dran. Er muß dann eine gute Stunde mit eingetüteten Füßen und Händen, auf denen seidene Handschuhe und Slipper stecken, ruhig liegen. Die Kerze, die jetzt brennen sollte, ist leider irreparabel abgebrochen. Dafür wird getrommelt und geträllert. Er läßt das alles so über sich ergehen; vielleicht ist ihm auch ein bißchen mulmig: wozu der ganze Aufwand, wenn es doch nur ein kleiner Schnitt ist und kaum weh tut…..? Nur die Schwester tritzt ihn natürlich damit, dass sie ihm Angst macht und erzählt, wie schlimm es werden wird. (Fakt ist: es wird schlimm!) Die kleine Rache der Frauen, weil ständig die Jungs im Mittelpunkt stehen…. Das Ruhig-liegen ist kein Problem für den Jungen, doch dann muß er Pipi. Er kann/darf weder Füße noch Hände benutzen, doch die Tante ist da ganz praktisch, nimmt eine leere Wasserflasche und läßt ihn im Sitzen reinpinkeln. Als nächste komme ich Hennamäßig an die Reihe und diesmal
mach ich nur die Hände mit Henna, keine Füße und kein Harkouz. So bin ich nach ner Stunde wieder fertig und kann mich gegen 22h zum Lesen ins Bett legen. Unsere Zimmer sind jetzt fast alle belegt. Der Koch, günstigerweise ein Cousin, der beim Militär arbeitet, ist aus Tunis angereist und wird die traditionellen Gerichte für das Fest zubereiten: Couscous mit Lamm und Tadschien.
Wobei wir nun zur oben erwähnten zweiten Frage kommen: womit bezahlen wir das?
Gute Frage, nächste Frage, könnte man sagen. Das Glück war uns diesmal leider nur bedingt hold. Eigentlich wollten wir eine Kuh verkaufen, die seit längerem nicht trächtig wird und längst keine Milch mehr gibt, von daher nur noch kostet. Doch dummerweise wurde diese Kuh nun ernsthaft krank, bekam Medizin, die aber noch 2 Wochen bräuchte, bis der Körper sie wieder ausgeschieden hat. Trotzdem verfiel sie zusehends, so dass ein Notverkauf an den Metzger die einzige Möglichkeit war. Da die Kuh vor zwei Jahren 7000 Dinar (ca. 2300 Euro) gekostet hat, ist der Erlös von 500 Dinar ein herber Verlust. Während mein Mann damit hadert, herauszufinden, weshalb Allah ihn bestrafen will, versuche ich ihm klar zu machen, dass Allah kein solcher Erbsenzähler ist wie die deutsche Verkehrsüberwachung und wegen geringfügiger Fehler horrende Bußgeldbescheide direkt vollstreckt. Und dass solche Geschehnisse wie Hagelschlag (hier ja eher Heuschreckenplage) oder krankes Vieh nunmal zu den Risiken der Landwirtschaft gehören. (Ich würde ja jetzt sagen: wir schaffen das! wenn dieser Satz nicht so einen negativen Beigeschmack hätte 😉 )
Der Festtag
Seit 8h morgens wird gewerkelt, eingekauft (alles per Moped), gekehrt, geschnippelt, geröstet, gekocht, gebacken, gerührt, gehackt, gewischt, gespült….in zwei Küchen. 15 kg Couscous und 25 kg Lammfleisch und entsprechende Mengen an Eiern, Tomaten, Kartoffeln, Paprika, Zwiebeln etc. wollen verarbeitet werden.
Während die Haupt-Kochaktion in Omas Küche stattfindet (Allah sei Dank – denn da hats dann gut und gerne über 40° von den drei Öfen), sind bei mir die Vorräte gebunkert und mein Backofen steht ja im Freien.
Man muß hier höllisch aufpassen, dass man sein Zeug beieinander hält. Geliehenes Geschirr, zum Beispiel wenn man Kuchen oder anderes den anderen brachte, wird gerne „vergessen“. Doch es ist schon zu spät. Ein gut Teil unserer Gewürze hat schon den Weg in Omas Vorratskammer gefunden, zu der nur sie den Schlüssel besitzt. Kann man bei 70 Euro Rente im Monat nachvollziehen: man muß sehen, wo man bleibt, als Frau sowieso!
Mit steigender Anspannung aufgrund von Müdigkeit und Aufregung wird die Stimmung zunehmend etwas aggressiver, es wird noch mehr geschrien als sonst. Grundsätzlich schreit man aus dem Zimmer in die Küche oder über weitere Entfernungen, anstatt ERST dorthin zu gehen und dann in normalem Ton zu sprechen. Manche schreien, auch wenn der andere direkt davor steht. Was wiederum mich nervt. Nach dem vierten Kuchen reichts mir eigentlich eh, doch dann kommt die Frage, ob ich den Slata meschwiya in meinem Mixer mixen kann. Klar doch. Ich dachte natürlich: mixen! Nicht erst noch die verkohlte Haut entfernen. Bei 8 kg macht das zu zweit nochmal ne Stunde.
Gegen 18h wirds dann hektisch: das Pferd für die Kutsche ist gekommen. Die Frauen sind natürlich alle noch nicht fertig und stinken nach Schweiß, Knoblauch, Zwiebeln, Bratfett und sonstigen Küchendünsten. Aber wir schaffen es alle, in einer halben Stunde geduscht und aufgebrezelt abmarschbereit zu sein.
Mit Böllerschüssen, Getrommel auf der T´bol (große Zylindertrommel) und Geflöte (also hier ist keine liebliche Flöte gemeint, sondern ein ohrenbetäubendes reines Freiluftinstrument namens Zukra, eine Oboe, auch unter den Namen Zamr oder Gaita bekannt) und viel Geträllere der Frauen setzt sich der Zug in Bewegung. Draußen stehen schon die Nachbarn, die auch mitlaufen wollen. Neben der Kutsche geht eine Tante, die in ihrer linken Hand einen dicken nassen Lappen, darauf ein Gefäß mit glühender Kohle, hält und in der anderen eine Dose mit einer Räuchermischung trägt.
Immer wieder schießt der „Karabila“ Böllerschüsse ab, worauf die meisten zusammen zucken, so dass jedes Mal die Fotos und Videoaufnahmen vom Handy verwackeln. Wir gehen etwa 500 meter und drehen dann um. Die Kutsche ist voller Kinder und ein paar von den großen müssen jetzt aussteigen, weil es etwas bergauf geht, was das Pferd nicht mehr schafft. Unterwegs verlier ich den Hausschlüssel, aber das regt mich nicht auf, irgendjemand wird ihn finden und siehe da, als wir zu Hause sind, hat mein Mann ihn schon erhalten.
Umziehen! Was bequemeres suchen, mit dem man später tanzen kann. Doch jetzt gibts erst den mega leckeren Couscous mit Kichererbsen und Rosinen, ein sagenhaft gut gewürztes Lamm, Slata meschwiya, eine fluffige Tadschien und etwas Obst. Der Koch ist wirklich genial. Danach ist Disco im Hof. Nur für die Frauen, denn die Männer wurden in die Hofeinfahrt quartiert. Die Frauen können also tanzen, was die Kondition hergibt; bei mir ist sie nach den bewegungslosen Sommermonaten definitiv verbesserungswürdig. Der Opa hat sieben Torten mitgebracht. Die werden jetzt noch gegessen, und die Geschenke für die Gäste verteilt: Kleine Stoffsäckchen mit Süßigkeiten. Gegen 23 h hab ich genug von allem und falle ins Bett. Um Mitternacht ist Musik-Ende und auch der Rest geht nach Hause.
Der Tag der Beschneidung
Am Tag nach dem Fest findet die Operation statt. Eigentlich soll der Doc gegen 11h kommen, doch da hat er noch keine Zeit, er kommt erst gegen 14h.
Eine Stunde später wäre mir ein Schnaps sehr willkommen, gerne auch zwei.
Denn aus Versehen stolpere ich in das Wohnzimmer vom Bruder, weil ich wieder nicht alles verstanden habe. Ich dachte, die Frauen warten da und die Operation findet in einem anderen Raum statt. Ich wollte sofort wieder raus, aber der Neffe hat mich reingewunken, so blieb ich an der Tür stehen, 1 Meter vor dem Esstisch, auf dem der Junge schon saß und bin aus purer Neugier drin geblieben, obwohl ich mir vorher nicht vorstellen konnte, dass ich das durchstehe. Ich hatte direkten Blick auf sein kleines Pimmelchen und den Arzt, nicht auf sein Gesicht, sonst hätte ich es womöglich doch nicht gepackt.
Vorher bekam er ein paar Spritzen ringsum, aber die waren nur vorsorglich gegen eine Infektion. Gegen die Schmerzen waren sie nicht, denn er hat durchgehend gebrüllt und die fünf Männer konnten ihn fast nicht halten. Insgesamt waren acht Männer im Raum, der Papa, der Opa, ein Onkel, zwei Cousins waren darunter und unser Elektriker, der auch Maler und Anstreicher ist und beim Zahnarzt als Helfer arbeitet. Dass er auch bei Beschneidungen dem Arzt assistiert, registrierte ich mit nur kurzem Erstaunen. Hier ist nichts unmöglich.
Das Ganze hat wenigstens etwa 15 Minuten gedauert, gefühlt gute 30, in denen ich mit der Kaffeetasse in der Hand und meinem Buch unterm Arm unbeweglich an der Tür stand, von wegen „guck, da ist ein Flugzeug“ und schnips. Der Arzt hat dann noch 5 x eingefädelt und genäht, damit die verbliebene Vorhaut gut anwächst und sich unter dem Rand kein Schmutz ansammeln kann. Aus gutem Grund sind die Mütter da nicht zugelassen, ich würde das beim eigenen Kind nicht aushalten. Von den drei empfindlichsten Teilen des Penis werden bei einer Komplettbeschneidung zwei entfernt. Noch empfindlicher als die Lippen soll die Stelle sein. Hinter mir, also im Flur standen die Frauen und trommelten und trällerten und schüttelten die Siebe mit dem Besteck (Bild folgt). Je mehr er drinnen brüllte, desto lauter wurde draußen Lärm veranstaltet. Meine Ohren wurden quasi von zwei Seiten betäubt. Das Desinfektionsmittel brannte wohl danach noch recht lange, ich hab ihm eine halbe Stunde später sein Fläschchen gebracht und damit ist er auch sofort eingeschlafen, völlig erschöpft und durchgeschwitzt.
Sein Kabous („Tarboush“, das kleine rote Hütchen) war dann neben ihm aufgestellt und alle Besucher legten Geld hinein, womit wenigstens ein minimaler Prozentsatz der Kosten dieser Feier wieder reinkommt.
Mit sechs Jahren ist die Operation eigentlich sehr spät, der Arzt meinte ebenfalls, in den ersten 40 Tagen nach Geburt wäre es optimal.
Was mich betrifft: das direkte Zusehen…..also, einmal reicht dicke! Muss ich kein zweites Mal haben. Interessant ist es allerdings, wenn man die Männer so beobachtet: alle haben lachende Gesichter. Die Anspannung wird danach auch weggelacht. Nach dem Motto „gut verdrängt, ist halb bewältigt“. Die Frauen sind ebenfalls abgehärtet. Nur die Mutter hat geweint. Mir war danach schlecht und mein Magen beschloss, für diesen Tag Diät einzulegen.
Für die Abgebrühten gibts jetzt Tee und Kuchen und bis spät abends noch geselliges Beisammensein, ich hab mich abgeseilt, genug für heute.
Ach ja, nach der Operation überreichte der Arzt dem Vater ein kleines weißes Tütchen, mit Schmerzmitteln, so dachte ich natürlich. Da sieht man mal wieder, wie Kultur und Erfahrung die eigene Erwartung beeinflusst. Er zeigte es mir später: darin befand sich die Trophäe, also die Vorhaut, die der Vater behalten darf und später in der Erde vergraben wird.
- nach 10 Tagen
- nach 6 Wochen
- nach 3 Monaten
Nachtrag: Wochenlanges schlafen ohne Unterwäsche. Tagsüber mit weitem Hemd oder ganz weiten Hosen. Erst nach drei Monaten wieder weniger Angst beim Duschen. Enge Hosen sind immer noch unangenehm. Ein Trauma ist geblieben. Der Schritt wird jetzt geschützt, wann auch immer etwas weh tun könnte.